Zögerliche Leader - lethargische Teams. Wie Prokrastination Führungskräfte und Unternehmen ausbremst
- Svenja Reiniger
- 16. Aug.
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 25. Aug.
Obwohl ich als Coachin mit zahlreichen Tools für Fokus, Resilienz und Priorisierung arbeite, passiert es auch mir: Ich schiebe Dinge auf. Meist sind es die unangenehmen Aufgaben. Dann ertappe ich mich dabei, wie ich vergeblich auf Motivation warte – wohl wissend, dass sie nicht kommen wird. So landete auch meine Steuererklärung mal wieder erst kurz vor der Deadline beim Finanzamt. Dieses Beispiel ist harmlos. Im Unternehmenskontext oder der Selbstständigkeit kann das Aufschieben unliebsamer Aufgaben jedoch subtiler und folgenreicher sein. Denn Prokrastination bei Führungskräften kommt in verantwortungsvollen Positionen in vielen Facetten daher und ist weniger offensichtlich. Sie begegnet uns im Job nicht im Bademantel und Netflix-schauend, sondern mitten in Vorstandssitzungen, bei übervollen To-do-Listen und wichtigen, aber liegengebliebenen Entscheidungen. Prokrastination wird bei Führungskräften oft übersehen, denn Aufschieberitis und Leadership passen in unserer Vorstellung von erfolgreicher Führung nicht so wirklich zusammen. Vorab: auch Entscheider sind natürlich nur Menschen (wer hätte es gedacht ;) und Dinge auch mal aufzuschieben, passiert. In diesem Artikel möchte ich aber zeigen, wann es sich lohnt, genauer hinzusehen und wie der erste Schritt aus dem Zögern gelingen kann.
Was Prokrastination ist und was nicht
„Procrastinare“ stammt aus dem Lateinischen und bedeutet „auf morgen verschieben“ - nicht mehr und nicht weniger. In den letzten zwei Jahrzehnten hat der Begriff an Popularität gewonnen und wird heute ausschließlich mit den unerwünschten Aspekten des sich wiederholenden Aufschiebens wichtiger Aufgaben verbunden. In der Psychologie wird das Phänomen häufig im Rahmen von Vermeidungsverhalten umschrieben mit negativen Folgen.
Wichtig ist aber zu verstehen:
Prokrastination ist kein eigenständiges Krankheitsbild! Sie kann jedoch als Teil vielfältiger Symptomprofile psychischer Probleme wie Angststörungen oder Depressionen auftreten, die therapeutische Begleitung erfordern.
Nicht jede Deadline-Hektik ist pathologisch. Manche Aufgaben verschieben wir schlicht, weil uns gerade andere ToDo`s dringender scheinen, leichter von der Hand gehen oder weil wir schlicht Lust auf etwas anderes haben.
Es ist daher denke ich wichtig den Begriff bewusst zu verwenden. Nicht jedes Aufschieben und nicht jede Aufgabe, die wir auf den letzten Drücker erledigen, müssen wir vorschnell psychologisieren.
Warum fällt es Führungskräften schwer, Entscheidungen zu treffen?
Entsprechend ist auch im Berufsleben nicht jedes Aufschieben schlecht. Manchmal musst Du etwas riskieren, improvisieren oder auf den letzten Drücker entscheiden. Das bewusst Abwarten und das Gespür für den richtigen Moment sowie kluges Abwägen bis sich eine strategische Gelegenheit ergibt, sind meines Erachtens wichtige Leadership Skills, die wir u.a. mit zunehmender Erfahrung und Verantwortung erwerben. Es kann häufig schlicht auch sehr klug sein, Entscheidungen bewusst aufzuschieben.
Problematisch wird es - wie so oft -, wenn Zögern nichts mehr mit bewusster Entscheidung zu tun hat, sondern sich verselbstständigt. Bereits vor einiger Zeit bin ich über die schöne Floskel „professionell getarntes Zögern“ gestoßen, die u.a. genau das beschreibt:
Deine Agenden werden länger, statt kürzer.
Einfache Aufgaben brauchen unverhältnismäßig viel Zeit.
Entscheidungen ziehen sich, während im Team Unruhe wächst.
Auf den ersten Blick wirkt es dann oft wie ein Mangel an Zeit - schließlich will jeder etwas von uns und unsere Agenda ist ja offensichtlich voll. Es hat aber selten nur mit Zeit zu tun, sondern es spielen auch emotionale Faktoren eine Rolle.
Prokrastination bei Führungskräften: Welche Ursachen stecken hinter dem Zögern
Wenn wir immer wieder wichtige Entscheidungen oder ToDo`s aufschieben und uns selbst zugleich damit unwohl fühlen liegen die Gründe meist tiefer, haben mit unseren inneren Antreibern und auch Ängsten zu tun:
1. Perfektionismus Viele Leistungsträger sind Perfektionisten. Dinge perfekt zu erledigen und hohe Maßstäbe anzusetzen ist ein phantastischer Ansporn und kann zu großen Erfolgen führen. Jedoch kann der Wunsch nach Perfektion oft den ersten Schritt blockieren. Es fehlt immer noch eine Information, eine Meinung oder ein Detail. Jede offene Frage und Unsicherheit wird zur Ausrede, nicht zu starten.
2. Angst vor falschen Entscheidungen
Eine Entscheidung zu treffen bedeutet immer, sich festzulegen und sich gegen andere Optionen zu entscheiden. Wer sich entscheidet und positioniert, macht sich automatisch angreifbar. Diese Angst vor Kritik oder Scheitern kann so lähmend sein, dass das Handeln unbewusst blockiert wird. Je größer die Tragweite einer Entscheidung, desto höher der Druck und die gefühlte Verantwortung. Manchmal schieben wir sie auf, weil die Konsequenzen zu überwältigend erscheinen.
3. Verlustangst
Eine Entscheidung kann bedeuten, sich von einem vertrauten Zustand, einem lieb gewonnenen Projekt oder einer persönlichen Beziehung zu verabschieden. Das ist emotional schwierig und wird daher vermieden, um den Status quo zu erhalten und diesen emotionalen Verlust nicht verarbeiten zu müssen.
Jeder dieser Punkte verdient für sich weitere Differenzierung und es ist zu kurz gegriffen diese allein für Zögern “verantwortlich” zu machen. Es sind oft Kombinationen und es gibt zahlreiche weitere Faktoren. Auch die Überwindung dieser Ängste und Ansprüche gehört zu Leadership dazu. Sie werden aber zum Problem, wenn sich Vermeidungsstrategie drum herum bilden oder Selbstvorwürfe und Gedankenkreisen nicht aufhören. Das Tückische ist, dass diese Mechanismen oft unbewusst wirken und anfangs auch dem Team verborgen bleiben - bis Vertrauen und Motivation schwinden, weil einfachste Dinge liegen bleiben.
Prokrastination im Unternehmen: Wenn Strukturen und das Aufschieben fördern
An dieser Stelle ist mir wichtig, sich bewusst zu machen, dass Prokrastination nicht nur ein individuelles Phänomen ist. Sie wird meist durch Einflussfaktoren im Unternehmen begünstigt. Was ich immer wieder sehe ist, dass insbesondere folgende Faktoren Lethargie begünstigt und Entscheidungsfreude lähmen:
Fehlerkultur: Wie in einem Unternehmen mit Fehlern umgegangen wird, wirkt sich enorm auf Entscheidungsfreude und Motivation aus. Wird stets nach einem Schuldigen gesucht und finger pointing betrieben (was übrigens auch ein Ausdruck von Ablenken von wichtigen Themen sein kann) herrscht Angst und Teams sind weniger produktiv. Ein Umfeld, in dem aus Fehlern gelernt wird, ist wesentlich produktiver.
Mikromanagement: Eng mit der Fehlerkultur hängt das Thema Mikormanagement zusammen. Engmaschige Kontrolle oder ständige Diskussion über die Ausnahme der Ausnahmen, kann Entscheidungsfreude ersticken und sorgt unweigerlich dafür, dass Fokus auf das wesentliche verloren geht.
Unklare Ziele & Ressourcenmangel: Mangelnde Visionen und strategische Klarheit können frustrieren, weil oft die Entscheidungsgrundlage fehlt. Show stopper können die Folge sein und sind gerade für ambitionierte Führungskräfte frustrierend. Wer zudem keine ausreichende Mittel hat, tendiert aus Überlast eher zum Aufschieben.
Konflikte: Unausgesprochene Spannungen, Koalitionen, über statt miteinander sprechen - all das vermindert Produktivität, Motivation die Weitergabe von Informationen und letztendlich die Grundlage für fundierte Entscheidungen
Das Phänomen Prokrastination in Unternehmen ist daher meistens komplexer als es auf den ersten Blick scheint. Sie ist einerseits Symptom von Dysfunktionalitäten in der Organisation und begünstigt diese zugleich. Es ist ein regelrechter Teufelskreislauf. Ein wirksamer Umgang braucht daher sowohl kritische Selbstreflexion in Teams und der Organisation und muss auch die bereits erwähnten individuellen Faktoren in den Blick nehmen.
Wie Du vom Zögern ins Handeln kommst - was Du gegen Prokrastination tun kannst
Es braucht also immer einen ganzheitlichen Ansatz und auch Rahmenbedingungen müssen in den Blick genommen werden. Wenn Du aber merkst, dass Du Dinge immer wieder Dinge vor Dir her schiebst und Dir Entlastung wünschst, dann brauchst Du zunächst keine weitere To-Do-Liste oder Priorisierungs-Tools. Nimm Dir stattdessen 15 Minuten Zeit für eine ehrliche Bestandsaufnahme:
Was genau schiebe ich auf?
Warum tue ich das? (Perfektionismus, Angst, Verantwortung, keine Lust …)
Wenn Du diese beiden Fragen ehrlich beantwortest, kannst Du schon mal viel besser verstehen, warum Du bestimmte Entscheidungen oder Aufgaben aufschiebst.Im nächsten Schritt geht es darum, ins Handeln zu kommen. Die folgenden Fragen können Dir dabei helfen:
Was gewinne ich, wenn ich heute entscheide oder den ersten Schritt mache?
Was kostet es mich, wenn ich es weiter verschiebe?
Wenn Du Dir die Fragen ehrlich beantwortest, wirst Du in jedem Fall klarer sehen, warum Du ins Handeln kommen solltest und Du wirst wahrscheinlich auch erste Schritte in der Umsetzung gehen. Und oft bedeutet dieser Schritt einfach anfangen, ganz im Sinne von Aristoteles: “Der Anfang ist die Hälfte vom Ganzen”
Für mehr Klarheit und Entscheidungsfreude
Wie aber schon zu Beginn gesagt: Das Thema ist komplex und Verhaltensmuster lassen sich allein oft schwer durchbrechen. Ganz gleich, ob Ihr als Team oder Unternehmen den Mut habt, Euch ehrlich mit dem Thema zu beschäftigen oder ob Du in einem vertraulichem 1:1 Coaching Deine individuelle Situation beleuchten und Schritte entwickeln möchtest, damit Du besser entscheiden kannst - lass uns gerne sprechen. Und wenn dieser Artikel wertvoll für Dich war, freue ich mich über ein Like, wenn Du diesen teilst oder kommentierst.

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